Werner-Seelenbinder-Str. 3

Hier wohnte
Walter Heynemann

´Schutzhaft` 1938
KZ Buchenwald
Flucht 1938
USA

Hier wohnte
Rosalie Heynemann
geb. Simon

Flucht 1938
USA

Hier wohnte
Vera Heynemann

Flucht 1938
USA

Walter Heynemann wurde am 29. August 1902 als Sohn von Siegfried (geb. 1868) und Wilhelmine (geb. 1875) in Meißen geboren. Sein Vater hatte dort einen Laden für „Putz, Manufaktur-, Weiß- und Wollwaren“. Siegfried verstarb bereits 1923. Walters Mutter Wilhelmine starb im Oktober 1943 in Theresienstadt, nachdem sie 1942 aus München deportiert worden war. Sie hatte von Dezember 1935 bis März 1936 bei ihrem Sohn Walter und dessen Familie in Erfurt gelebt, bevor sie ihren Wohnsitz in München nahm.

Walter Heynemann war Gärtner, Inhaber der Gärtnerei in der Schützenhausstraße 2 (Werner-Seelenbinder-Str. 3) und Friedhofsverwalter des neuen jüdischen Friedhofs in Erfurt.

Der neue jüdische Friedhof war am 10. September 1878 eröffnet worden, nachdem der alte jüdische Friedhof in der Cyriakstraße zu klein geworden war. Die Friedhofsgärtner durften auf dem nicht belegten Friedhofsgelände Erwerbsgartenbau betreiben. Walter besaß ein Gewächshaus, in dem er Blumen züchtete und sie auf dem Erfurter Blumenmarkt verkaufte.

Walter Heynemann war mit Rosalie Heynemann, geb. Simon (geb. am 04. Juni 1907 in Köln) verheiratet. Rosalies Eltern Eduard und Dorothea Simon besaßen ein Schuhgeschäft in Köln. Beide wurden im September 1942 in Treblinka ermordet.

Rosalie war Hausfrau und soll eine Alpenveilchenzucht betrieben haben. Im Familienarchiv gibt es ein Foto von Rosalie auf ihrem mit Alpenveilchen beladenen Fahrrad sitzend, um sie zum Markt zu bringen.

Walter und Rosalie waren aktive Mitglieder der jüdischen Gemeinde und der Stadt Erfurt.

Ihre gemeinsame Tochter Vera wurde am 16. Mai 1931 in Erfurt geboren. Die Familie bewohnte die Dienstwohnung auf dem jüdischen Friedhof in der oberen Etage der Trauerhalle.

Während des Novemberpogroms wurde Walter Heynemann verhaftet und von der SA mit rund 200 weiteren jüdischen Männern in der Turnhalle der städtischen Oberrealschule (heute Humboldtschule) zusammengetrieben und misshandelt. Am 10. November 1938 wurde er im KZ Buchenwald inhaftiert. Von dort wurde er am 23. November 1938 entlassen. In der Nacht des Novemberpogroms half Rosalie dem Rabbiner, die Torarollen der Gemeinde aus der Synagoge zu retten.

Nach der Freilassung von Walter Heynemann musste sich die Familie am 5. Dezember 1938 in die Bismarckstraße 9 (heute Löberwallgraben) ummelden, da ihre Wohnung in der Friedhofshalle im Zuge des Pogroms vollkommen verwüstet worden war. Die in Buchenwald Inhaftierten wurden mit der Maßgabe entlassen, auswandern zu müssen.

Das tat die Familie Heynemann. Sie verließ am 20. Dezember 1938 Rotterdam auf der „Gerolstein“ der Red Star Line. Die Red Star Line hatte dem jüdischen Reeder Arnold Bernstein gehört, der 1937 festgenommen und nach einem Prozess enteignet wurde.

Die Familie Heynemann kam am 2. Januar 1939 in Ellis Island New York an.

Wie viele deutsch‑jüdische Flüchtlinge wurden sie von der Hebrew Immigrant Aid Society unterstützt. Sie verbrachten einige Zeit auf zwei Landgütern, eines in North Carolina und eines in Connecticut, wo Walter als Gärtner und Rosalie als Haushälterin arbeitete. Nach ein paar Jahren ließ sich die Familie in Boston, Massachusetts, nieder, wohin Rosalies jüngere Schwester Else und ihr Mann Freddy Silversmith eingewandert waren, ebenso wie ihre Cousine Lotte, deren Mann Hans Friedman und ihr kleiner Sohn Walter.

Walter fand Arbeit als Verwalter und Hausmeister eines jüdischen Friedhofs in West Roxbury, Boston, wo er viele Jahre tätig war. Rosalie arbeitete als Verkäuferin in mehreren Geschäften, bevor sie Geschäftsführerin eines Brautmodengeschäfts wurde. Die Fähigkeiten, die sie als junge Frau in Köln im Schuhgeschäft ihrer Familie erlernt hatte, halfen der Familie, sich im neuen Land eine Existenz aufzubauen.

Nach dem Krieg kam Veras Cousine Ellen, die Deutschland mit einem Kindertransport verlassen hatte, aus England, um bei der Familie zu leben, und wurde von Walter und Rosalie adoptiert. Ellens Eltern, Nanette (Rosalies ältere Schwester) und Georg Fass, wurden 1941 von den Nazis in Litauen ermordet. Vera und ihre Cousine Ellen wurden zu Schwestern.

Kurz nach dem Schulabschluss lernte Vera einen Studenten kennen: Stanley (Salman Masha’al) Marshall, einen jüdischen Einwanderer aus Basra im Irak. Sie heirateten im Juni 1951 und ließen sich ebenfalls in Boston nieder. Sie bekamen drei Kinder: Linda, David und Gary. Vera und Stanley waren in der Synagoge und der Gemeinde sehr aktiv.

Vera Marshall weilte 1997 zusammen mit ihrem Mann Stanley noch einmal in Erfurt zu einem Treffen jüdischer Erfurter Bürger.

Rosalie Heynemann starb 1981 in West Palm Beach, Florida. Walter Heynemann starb 1986, wie seine Tochter Vera 2001, in Sharon, Massachusetts.

Seit dem 17. Oktober 2025 erinnern drei STOLPERSTEINE in der Werner-Seelenbinder-Str. 3 an Walter, Rosalie und Vera Heynemann.